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Sechs schiefe Ansichten

Widerworte zur Verwertungslogik in der Migrationspolitik

Von Johanna Wintermantel

1. Armutsmigration. Die von Armut am meisten betroffenen Menschen sind meist nicht in der Lage, aus einem Land zu fliehen. Fluchtmotive sind vielfältig. Armut kann ein Faktor sein, meist sind jedoch andere Motive wie Verfolgung, mangelnder Schutz durch staatliche Organe und Mehrfachdiskriminierung damit verbunden. Armut selbst ist in der Regel Folge von – eventuell jahrhundertelanger – Diskriminierung.

2. Armutsmigration ist verwerflich. Armut ist gemacht und kein individuelles Problem, mit dem andere nicht belästigt werden dürfen – das gilt auch für Menschen in anderen, reicheren Staaten. Die zunehmende globale Ungleichverteilung von Reichtum bewirkt Wanderungsbewegungen. Das kann nicht denen angelastet werden, die bisher qua Geburt in einem weniger reichen Land zu den VerliererInnen gehören.

3. Armutsmigranten sind Sozialtouristen. Sozialleistungen bedeuten kein attraktives Luxusleben. Das Asylbewerberleistungsgesetz sieht eine starke Reglementierung der BezieherInnen vor, die medizinische Versorgung ist unzureichend. Wenn die Behörden der Ansicht sind, jemand sei eingereist, um Sozialleistungen zu beziehen, können sie genau diese Leistungen unter das Existenzminimum kürzen. Viele Betroffene wären aus diesen Gründen lieber unabhängig vom Staat. Außerdem sind viele für einen dauerhaften Aufenthalt auf einen Job angewiesen. Wenn viele Asylsuchende dennoch nicht arbeiten, liegt das an den deutschen Gesetzen, die ihnen Arbeit in den ersten drei Monaten generell verbieten und später hohe Hürden für eine Arbeitserlaubnis aufbauen.

4. Wenn Flüchtlinge fleißig arbeiten, ist alles bestens. Es gibt viele Flüchtlinge, die gern arbeiten würden und solche, die dazu noch hochqualifiziert sind. Sie als Vorbilder darzustellen, geht aber in die falsche Richtung: Den Maßstab bilden noch immer die Bedürfnisse der deutschen Wirtschaft nach neuer (billiger) Arbeitskraft. Das deutsche Arbeitsverbot suggeriert, arbeiten zu dürfen sei ein Privileg. In Ländern wie Italien, wo ein legaler Aufenthalt an einen Arbeitsvertrag geknüpft ist, zeigt sich: Die Abhängigkeit ist enorm; es zählen wieder nur die Wirtschaftsinteressen. Auf der Strecke bleiben auch hier Freiheit und Menschenrechte.

5. Wir müssen die schnell wieder loswerden. Die Stimmungsmache gegen angebliche Armuts­migrantInnen höhlt das Asylrecht aus. Länder, aus denen Menschen auch aus ökonomischen Gründen fliehen, werden reihenweise als sicher eingestuft, wodurch die Asylanträge dieser Flüchtlinge als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden. Dies hat weitere Folgen, z. B. können Ausländerbehörden gegen sie nach dem geplanten neuen Aufenthaltsgesetz Aufenthalts- und Einreiseverbote verhängen, und es gab dieses Jahr keinen Winterabschiebestop für die betroffenen Länder.

6. Wir helfen den armen Flüchtlingen. Die Diskurse und Gesetze gegen vermeintlich unnütze Flüchtlinge betreffen nicht nur diese selbst, sondern die ganze Gesellschaft. Eine solche Gesellschaft sondert Menschen aus, die ihr zufolge kein Recht haben hier zu leben, weil sie als unnütz deklariert werden. Diese desaströse Tendenz verkennt den unermesslichen immateriellen Reichtum, den jeder Mensch als einzigartiges Individuum mit sich bringt, und sei er ein Armutsmigrant.

Flüchtlingskinder auf Freiburger Bleibrechtdemonstration. | Foto: kwasibanane

Foto: kwasibanane

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