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Kein Wahlrecht – geht's noch?

Am 25. Mai wird symbolisch gewählt

Von Joe Nykiel

Kein Wahlrecht! Das bemerkte ich zum ersten Mal 1988, als es einen Bürgerentscheid zum Bau des Konzerthauses gab. Der Gemeinderat hatte beschlossen, die KTS (wie es damals hieß) zu bauen, aber mit einer Unterschriftenaktion haben die Gegner (unter anderen meine linkspolitischen Freunde) einen Volksentscheid erzwungen.

Ich war 1982 aus den USA nach Freiburg gekommen, um Musik zu studieren. Frisch in eine Wohnung im Sedanviertel eingezogen, freute ich mich darüber, in meiner Nachbarschaft renommierte Orchester hören zu können. Eine Mehrheit sprach sich dagegen aus, aber das damals sehr hohe Beteiligungsquorum wurde knapp verfehlt und der ursprüngliche Beschluss des Gemeinderats in Kraft gesetzt.

Die ganze Diskussion ging an mir vorbei, denn ich durfte nicht wählen ! 2002 wurde Dieter Salomon als erster Grüner Bürgermeister in einer größeren deutschen Stadt gewählt. Freiburg war ganz aus dem Häuschen, bloß ich fühlte mich traurig und ausgeschlossen. Ich durfte wieder nicht wählen ! Heute verfolge ich nach wie vor die Geschehnisse meiner Wahlheimat mit großem Interesse. Ich gehe oft zu Treffen des Bürgervereins, wo über Lärm in der Innenstadt oder über den Autoverkehr in meinem Stadtteil diskutiert wird. Dennoch: Wenn es darum geht, politische Entscheidungen zu treffen, ist der ­Gemeinderat zuständig. Und den habe ich nicht gewählt, denn ich habe kein Wahlrecht!

Deshalb setze ich mich für den Freiburger Wahlkreis 100% ein, damit nicht-wahlberechtigte Freiburger wie ich die Möglichkeit bekommen zumindest symbolisch eine Stimme abzugeben. Wie bei den Bundestagswahlen im September 2013 veranstalten wir parallel zu den Kommunalwahlen am 25. Mai erneut eine symbolische Wahl für Freiburger, die Nicht-EU-Staatsangehörige sind. An den CDU-Bundestagsabgeordneten Matern von Marschall hatte ich mich im Dezember gewandt: die CDU ist als einzige Partei gegen die Einführung des Wahlrechts für MigrantenInnen in Deutschland. Seit 1998 dürfen Migranten aus EU Ländern in Deutschland kommunal wählen. Jetzt im Mai 2014 dürfen 16-jährige BürgerInnen zum ersten Mal in Freiburg bei Kommunalwahlen ihre Stimme abgeben. Ich dagegen wohne seit 30 Jahren in Deutschland und darf überhaupt nicht wählen ! Ich würde mich gerne einbürgern lassen, aber ich müsste meinen U.S. Pass dafür abgeben. Die doppelte Staatsbürgerschaft wird bei den Koalitionsverhandlungen zwischen der CDU und der SPD heiß diskutiert aber ich möchte in der Zwischenzeit mindestens kommunal wählen dürfen !

Kein Wahlrecht – geht's noch?  Foto: kwasibanane

Foto: kwasibanane

Die von uns symbolisch gewählten Bundestagsabgeordneten Gernot Erler (SPD), Matern von Marschall (CDU) und Kerstin Andreae (Grüne) kamen, um zu erfahren, warum das Wahlrecht für uns wichtig ist.

Stolz haben wir über unsere Aktivitäten und den Erhalt des Integationspreises der Stadt Freiburg berichtet. Herr von Marschall dürfte sich gefreut haben, als wir unser Musik-Video Let’s all vote ! gezeigt haben. Im Film hatte eine Ordensschwester aus Sri Lanka spontan mitgemacht und sagte am Drehort: »Es ist aber klar, wen ich wählen würde !« Auch unter den Nicht-Wahlberechtigten gibt es Meinungsvielfalt ! Nach der Diskussion konnten die Gäste meine Brownies kosten, die es übrigens an den symbolischen Urnen am 25. Mai wieder geben wird.

Es gibt eine klare Mehrheit für die Einführung des kommunalen Wahlrechts in Deutschland, sogar mit einigen CDU Politikern, aber nicht genug, um eine Zweidrittelmehrheit für die nötige Verfassungsänderung zu erreichen. Alle politischen Organe der EU haben sich für das kommunale Wahlrecht aller Nicht-EU Migrant­Innen in Europa ausgesprochen. In 16 von 28 EU-Staaten ist das bereits unaufgeregte Praxis. Bis es so weit ist, müssen wir zeigen, dass wir es immer noch wollen. Kommt und macht mit am 25. Mai !

Auch Deutsche und EU-Staatsangehörige sind herzlich willkommen und können ihre Solidaritätsstimme abgeben. Let’s all vote !

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